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Immobilien und der Tinder-Effekt

Wie beeinflusst Tinder den Immobilienmarkt? Eine ungewöhnliche Frage, die sich jedoch jeder Investor stellen sollte, denn strukturelle Veränderungen innerhalb der Gesellschaft können auch Auswirkungen auf die Immobilienbranche haben.

Die Bedeutung langfristiger Trends

Den Zusammenhang zwischen Tinder und dem Immobilienmarkt erörtert Chris Urwin, Head of Global Research, Real Assets von Aviva Investors in einem von ihm verfassten Artikel. Um die Auswirkungen jedoch verstehen zu können, ist es im Vorhinein wichtig sich die Bedeutung gesellschaftlicher Entwicklungen vor Augen zu führen. Denn angesichts des langfristigen Anlagehorizonts sei es laut Chris Urwin bei Immobilien unabdingbar ein Gespür für strukturelle Trends zu haben. So gehe mit einer Veränderung innerhalb der Gesellschaft auch eine andere Nutzung von Immobilien einher. “Die heutigen Immobilienanleger profitieren beispielsweise von umfassenden Kenntnissen in Bezug auf Demographie, den technischen Fortschritt und die Entwicklung des Arbeitsmarktes”, erklärt Urwin in seinem Artikel. Für Investoren sei es allerdings nicht leicht diese Vorgänge zu erkennen. Grundlegende gesellschaftliche Wandlungen geschehen nämlich in der Regel nicht plötzlich, sondern langsam und schleichend über mehrere Jahre oder gar Jahrzehnte. Deshalb fallen unter anderem Verschiebungen bei der Partnersuche weniger stark auf und werden bei der Bewertung von Immobilien kaum berücksichtigt. Dabei wird bei einem genaueren Hinsehen doch klar, dass solche Trendwenden durchaus Auswirkungen auf den Sektor haben.

Der “Tinder-Effekt”

Als “Tinder-Effekt” beschreibt Chris Urwin die möglichen Veränderungen bei der Nutzung von Immobilien, die durch das Auftreten und die Popularität von Dating-Apps beziehungsweise Online-Dating im Allgemeinen ausgelöst werden. Diese entstehen aufgrund der Unterschiede zwischen der “traditionellen Partnersuche” und der “modernen Partnersuche”. Bei der traditionellen Variante finden die Bekanntschaften im Familienumfeld, Freundeskreis oder am Arbeitsplatz statt. Sie beruhen auf realen Begegnungen, die bei verschiedenen Aktivitäten oder Treffen zustande kommen. Das “moderne Kennenlernen” basiert hingegen mehr auf Online-Bekanntschaften und virtuellen Kontaktknüpfungen. Nach Angaben von Urwin sollen heute laut einer Studie Tyro Capital Management die meisten Beziehungen online beginnen. Auch wenn die Auswirkungen auf die Immobilienbranche nicht direkt ersichtlich seien, würde der neue Trend dennoch einen großen Effekt auf das Segment haben.

Mögliche nachhaltige Auswirkungen

Nach der Beurteilung von Urwin sei beispielsweise das Online-Dating ein unterschätzter Faktor bei der Haushaltsgründung. “Heute heiraten Menschen später und gründen später eine Familie. Häufig werden als Gründe dafür wirtschaftliche Unsicherheit und hohe Wohnkosten angeführt, was zweifellos wichtige Faktoren, doch bei Weitem nicht die einzigen sind”, erklärt Urwin. Die Dating-Apps würden die Nutzer wählerischer machen, da sie bessere Chancen und geringere Kosten bei der Partnersuche versprechen. Infolgedessen gerieten die entsprechenden Personen nicht in eine sogenannte “Torschlusspanik” und blieben länger Single. Dies sollte die Nachfrage nach Mietwohnungen für Alleinlebende ansteigen lassen. Auf der anderen Seite könnte auch die Anzahl der Geschiedenen durch die optimierte Partnerwahl der Dating-Plattformen zurückgehen und deren Bedarf an Wohnraum senken.

Des Weiteren sind Veränderungen beim Zuzug in die Städte und bei der Nutzung bestimmter Immobilien denkbar. Während in der Vergangenheit große Städte aufgrund ihrer hohen Dichte an Junggesellen besonders anziehend für andere Singles waren, kann die effiziente Partnervermittlung der Dating-Apps diese Attraktivität mindern und den Verbleib in kleineren Städten fördern. Es ist allerdings auch möglich, dass die verbesserte Kontaktaufnahme den Strom in die Metropolen weiter anfeuert, da diese nun noch interessanter werden. Die neuen Wege des Kennenlernens führen außerdem dazu, dass die ersten Begegnungen nicht mehr in Bars, Clubs oder Kneipen stattfinden, sondern im Internet geschehen. Die genannten Orte werden anschließend eher für ein zweites, reales Treffen aufgesucht. Besitzer solcher Immobilien könnten ihre Objekte gezielt auf Dating-Veranstaltungen umstrukturieren und auf diese Weise ihre Popularität weiter steigern. Nach Einschätzung von Urwin sind deshalb zwanglose Restaurants mit gehobener Küche möglicherweise solider, als man denken mag. Außerdem glaubt der Immobilienexperte, dass unter diesen Gesichtspunkten der Trend zum sogenannten “Competitive Socialising” zunehmen wird. Demnach erfreuen sich Spiel- und Erlebniswelten einer steigenden Beliebtheit.

Die Arbeit im Homeoffice verstärkt die Entwicklung

Allein wird die Veränderung der Partnersuche zwar wahrscheinlich keinen Einfluss auf die Anlage von Immobilieninvestoren haben, jedoch können weitere Entwicklungen den Effekt verstärken und Gewicht verleihen. Der technische Fortschritt führt zu einer immer besseren Vernetzung der Menschen über das Internet und macht den gemeinsamen Aufenthalt mehrerer Personen in einem Raum teilweise obsolet. Als Beispiel kann die Arbeit im Homeoffice angesehen werden. Die Corona-Krise hat uns gezeigt, dass es nicht unbedingt notwendig ist jeden Tag in ein Büro zu fahren, denn die Arbeit kann in vielen Fällen auch ganz bequem von Zuhause erledigt werden. Dieser Trend lässt jetzt schon die Nachfrage nach Büroimmobilien zurückgehen und hat womöglich eine tiefgehende Veränderung innerhalb der Branche zur Folge. Die Wirkung der zunehmenden Online-Konnektivität ist demnach nicht zu unterschätzen. In Zukunft wird sich die Vernetzung über das Internet wohl weiter verstärken. Immobilieninvestoren sollten sich deshalb schon jetzt fragen, welche Auswirkungen diese Entwicklung auf die eigenen Objekte hat und wie Nutzung der Gebäude an die neuen Gegebenheiten angepasst werden kann.

Bildquellen: fuyu liu/Shutterstock.com