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Wie die Corona-Erfahrung unsere Wohnbedürfnisse verändert

Die Sicherheits- und Hygienemaßnahmen ob der COVID-19-Pandemie bedeuteten für viele Menschen eine grundlegende Umstrukturierung ihres Alltags.

Besonders in Zeiten des Lockdowns waren die Effekte der Translokation des Arbeitsplatzes sowie der Bildungsanstalt und des Privatlebens deutlich spürbar, da die eigenen vier Wände dadurch über Nacht zum Zentrum des Geschehens wurden – Faktoren, die die Konzeption der Architektur künftiger Immobilien beeinflussen.

Ogundehin über den Paradigmenwechsel unserer Wohnbedürfnisse

In ihrem Gastbeitrag mit dem Titel „In the future home, form will follow infection“ beschreibt die britische Architektin und Schriftstellerin, Michelle Ogundehin, wie die Coronakrise unsere Sichtweise auf Immobilien verändert. Veröffentlicht im Londoner Online-Design-Magazin Dezeen, umfasst ihr Artikel sachdienliche Adaptionsvorschläge an Wohnbedürfnisse in Zeiten besonderer Sicherheitsvorkehrungen.

Ogundehin stellt fest, dass es unabdingbar ist, unsere Architektur an mögliche interpandemische Phasen anzupassen – nicht nur um Schutz vor Infektionen zu gewährleisten, sondern auch um psychischem Stress und Depressionen entgegenzuwirken. Dabei betont sie weiterhin, dass die Umsetzbarkeit ihrer Vorschläge nicht in Relation zum individuellen Vermögen von Mietern bzw. Käufern steht, sondern auf zukünftige Bauvorhaben im Allgemeinen anzuwenden ist.

Grundrissneutralität als Planungsobligation

Die Vorstellungen bezüglich des Standardgrundrisses von Wohnimmobilien sollten laut Ogundehin liberalisiert werden. Referenziert wird dabei der Aufbau des klassischen Einfamilienhauses, dessen Schlafzimmer sich häufig im ersten Stock befinden und somit in der Regel mehr Sonnenlicht erhalten, als das Wohnzimmer. Ogundehin empfiehlt diese in das Erdgeschoss zu verlagern, um die Lichtverhältnisse optimal nutzen zu können. Weiterhin erachtet sie Grundrissneutralität als obligatorisch, da Flexibilität und Anpassungsfähigkeit an neue Situationen – gerade in Zeiten von Pandemien – an Bedeutung gewinnen. Offene Grundrisse, die sowohl Wohnzimmer als auch Küche und Eingangsbereich keiner räumlichen Trennung unterziehen, sieht Ogundehin kritisch, da dieses Konzept zwar Kommunikations- jedoch keine Rückzugsmöglichkeiten bietet. Die fehlende Privatsphäre belastet häufig sowohl das Wohlbefinden als auch die Arbeitssituation im Homeoffice.

Gesundheitsbewusstes Bauen und Einrichten

Ogundehin sieht das japanische Genkan-Konzept als besonders förderlich im Umgang mit Viren und Bakterien an. Dieses sieht einen kleinen Vorraum bzw. eine Art Veranda vor, die initial passiert werden muss, um sich dort die Hände zu waschen und die Schuhe auszuziehen, bevor die eigentlichen Wohnräume betreten werden.

Um unser Immunsystem nicht unnötig zu belasten, schlägt Ogundehin weiterhin vor, künftig auf VOC- und formaldehydfreie Rohstoffe und Materialien zu setzen, wenn es um den Bau neuer Häuser und Wohnungen geht. Dies würde die Freisetzung toxischer Substanzen in die Luft unserer Innenräume deutlich reduzieren und unsere Atemwege entlasten.

Wenn es um Einrichtungsgegenstände und Dekoration geht, sollte laut Ogundehin der Grundsatz “Smart not Sterile” beachtet werden. Sich mit schönen Dingen zu umgeben, trägt zum allgemeinen Wohlbefinden bei, weswegen das Dekorieren der Wohnräume weiterhin praktiziert werden sollte. Besonders naturnahe Farben und Materialen sollen dabei positiven Einfluss auf die Psyche haben. Einrichtungsgegenstände, die häufigen Berührungen ausgesetzt sind, sollten allerdings regelmäßig gereinigt werden, um das Infektionsrisiko gering zu halten. Für zukünftige Bauvorhanden schlägt Ogundehin hinzukommend vor, Berührungen sogar auf ein Minimum zu reduzieren, indem No-Touch-Technologien eingesetzt werden.

Im Hinblick auf digitales Lernen und Arbeiten sollten laut Ogundehin rückenfreundliche Optionen geschaffen werden, die den Körper entlasten. Der Einsatz ergonomischer Schreibtische, die gegebenenfalls in Stehtische umgewandelt werden können, sollte zukünftig in Betracht gezogen, wenn es um neue Einrichtungskonzepte geht.

Urbanes Wohnen durch Corona weniger im Fokus

Betrachtet man die Ergebnisse einer Studie bezüglich Mieter- bzw. Käuferpräferenzen, die im Juni dieses Jahres von den Experten des Dienstleistungs-, Beratungs- und Investmentmanagement-Unternehmens im Immobilienbereich Jones Lang LaSalle (JLL) durchgeführt wurde, erkennt man, dass die Nachfrage nach größeren Wohnungen mit mehr Zimmern, die deutlich voneinander getrennt sind, durch COVID-19 gestiegen ist. Zurückzuführen ist dies auf die Translokation des Arbeits-, Schul- und Privatlebens und den dadurch gestiegenen Bedarf an Privatsphäre. Weiterhin korrelieren Miet- bzw. Kaufentscheidungen tendenziell häufiger mit dem Vorhandensein von privaten Außenflächen, wie Balkonen oder Gärten, deren Bedeutung für das allgemeine Wohlbefinden während des Lockdowns in den Fokus der Bevölkerung rückte.

JLL stellt weiterhin fest, dass es zu Nachfrageausdehnungen kam, die ebenfalls auf fehlende Pendelzeiten und damit auf die Verlagerung des Arbeitsbereichs ins Homeoffice zurückzuführen sind. So sollen vermehrt Immobilien fokussiert werden, die außerhalb der “üblichen” Ballungsräume liegen. Dr. Konstantin Kortmann, Head of Residential Investment JLL Germany, äußert sich dazu folgendermaßen: „Speziell die Veränderungen im Arbeitsbereich der Wohnung und bei den Außenflächen gehen mit einer erhöhten Wohnflächennachfrage einher, die angesichts bestehender Nachfrageüberhange in den Ballungsgebieten in Deutschland nur durch Ausdehnungseffekte möglich scheinen. Die Kombination aus Nachfrage nach höherer Wohnqualität und -fläche, verbunden mit einer rückläufigen Notwendigkeit zentralen Wohnens könnte also dazu führen, dass sich die Wohnungsnachfrage vermehrt in die Peripherie der Ballungsräume regionaler Wohnungsmärkte verschiebt. Allerdings muss man einschränken: letztlich sind es lediglich rund 10 Prozent der Befragten, die aus dem Stadtgebiet ins Umland ziehen wollen. Diese Tendenz zeigte sich in den letzten Jahren bereits bei Familien mit Kindern, bei dieser Bevölkerungsgruppe verzeichneten die Top 7 bereits vor Corona Wanderungsverluste ins Umland. Ob Corona hier tatsächlich als Verstärker wirken und zu deutlich höheren Zahlen führen wird, muss sich erst noch zeigen“.

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