Drees & Sommer Immobilienkolumne – Green Deal: Gemeinsam in die grüne Zukunft

Die Form folgt der Funktion – im Englischen ist die Maxime auch unter „Form Follows Function“ geläufig. Nicht nur die moderne Architektur hat dieser einfache wie einprägsame Satz geprägt wie kein anderer.

Sein Ursprung wird dem amerikanischen Bildhauer Horatio Greenough im Jahr 1852 zugeschrieben. Rund vierzig Jahre später griff Louis Sullivan, einer der ersten großen amerikanischen Hochhausarchitekten, die Idee auf. Sein Grundgedanke: Die Form der Gebäude sollte immer der Funktion, also dem Anspruch der Nutzer an das Gebäude, folgen. Weltweit berühmt machte den Leitsatz aber die Kunstschule Bauhaus, die vor etwas mehr 100 Jahren in Weimar ihren Anfang nahm. Zahlreiche spektakuläre Gebäude, Designer-Möbel oder Alltaggegenstände resultieren aus ihr. Mit den für die damalige Zeit revolutionären Perspektiven, die weit über architektonische Fragen hinausreichten, sorgten die Bauhaus-Anhängerinnen und Anhänger für einen regen gesellschaftlichen Diskurs.

Form Follows Planet

Wie relevant die Geschichte des Bauhauses auch für unsere Zukunft sein könnte, das hat die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen deutlich skizziert. Im Rahmen des Green Deals der EU, der das Ziel eines klimaneutralen Europas bis 2050 verfolgt, hat sie die Initiative des neuen Europäischen Bauhaus ins Leben gerufen, welche Design und Nachhaltigkeit miteinander verbinden soll. Und somit macht derzeit der aktuelle Ausruf „Form Follows Planet“ vielfach die Runde. Die Form muss nun also der Funktionalität und der Gesundheit unseres Planeten folgen.

Und mag der ein oder die andere die Bauhaus-Analogie auch scharf kritisieren, so finde ich sie gut gewählt. Während des Übergangs zur Industriegesellschaft ging es der Ideenschule Bauhaus längst nicht nur um Gestaltung. Genauso zentral war, angesichts einer tiefgreifenden gesellschaftlichen Transformation über eine lebenswerte Zukunft nachzudenken. Bis heute haben die damaligen Fragen für mich nichts an Aktualität eingebüßt: Wie wollen wir leben? Wie wollen wir lernen? Wie wollen wir unseren Alltag, unser Wohnen, unser Zusammenleben in der Gesellschaft gestalten? Lediglich die Antworten sind andere geworden.

Digitales und nachhaltiges Bauen als notwendige Bedingung

Nach etwas mehr als 100 Jahren stehen wir angesichts unserer schwindenden Ressourcen, des Klimawandels, der sich stetig vergrößernden Weltbevölkerung und der weltweiten Verstädterung sowie der digitalen Transformation erneut vor der Aufgabe, die gebaute Umwelt radikal neu zu denken und sie vor allem nachhaltig umzusetzen, um sie lebenswert und enkelfähig zu erhalten. Und so stimme ich der Aussage Ursula von der Leyens vorbehaltlos zu: „Der Europäische Green Deal muss auch ein kulturelles Projekt für Europa sein.“

Doch mag eine kulturelle Strahlkraft wie die des damaligen Bauhauses hinreichende Bedingung für den Erfolg des Green Deals sein, so ist die notwendige Voraussetzung, dass wir unsere Wirtschaft nachhaltig umbauen und dafür das enorme Potenzial der digitalen Technologien ausschöpfen. Für uns im Bau- und Immobiliensektor heißt das: Um unseren Teil des Green Deals einzuhalten, müssen Neubauten und Bestandsgebäude sich an höchsten Nachhaltigkeitsstandards messen lassen.

Finanzierbarkeit – auf die Perspektive kommt es an

Allein in Deutschland gibt es etwa 21 Millionen Gebäude. Ihr Anteil am gesamten deutschen Endenergieverbrauch beträgt 35 Prozent. Um die Klimaziele einzuhalten, muss der Primärenergiebedarf hierzulande um 80 Prozent bis 2050 reduziert werden. In der EU entfallen auf Gebäude sogar rund 40 Prozent des Energieverbrauchs und der Treibhausgase, was ein gigantisches Einsparpotenzial birgt. Derzeit wird aber nur eins von 100 Gebäuden energieeffizient renoviert, dabei sind europaweit um die 85 Prozent aller Gebäude in die Jahre gekommen. Das Einsparpotenzial ist also enorm. Kurzum: Im Neubau haben wir als Branche bereits einen guten Stand erreicht, unser Problem stellt jedoch der Bestand dar. Wenn wir die EU bis zum Jahr 2050 wirklich klimaneutral machen wollen, müssen wir deutlich mehr und deutlich schneller sanieren.

Bei den Betriebskosten hat sich in den letzten Jahren gezeigt, dass cleveres Sanieren schnell viele Euros zurückbringt. In Anbetracht der notwendigen Investitionen für den Green Deal warnten bereits Ende 2019 viele vor den nicht darstellbaren Kosten. Heute, rund 1,5 Jahre später, wurden Billionen von Euro in einem Handstreich in ganz Europa mobilisiert zur Bekämpfung der Corona-Krise. Machen wir uns nichts vor: die heutigen Auswirkungen sind stets in der Wahrnehmung die größten Probleme, mit unserer bisherigen Politik, den Problemen der Zukunft erst mit einer Lösung in der Zukunft zu begegnen, muss Schluss sein. Dies bedingt dann auch eine neue Renditebetrachtung – statt dem schnellen lieber einen langfristigen Euro.

Ein zweites Leben nach dem Abriss

Eine ganze Reihe ökologischer Ziele wird jedoch nur zu erreichen sein, wenn digitale Lösungen in Kombination mit innovativen, nachhaltigen Konzepten beim Bauen noch viel stärker als bisher zum Einsatz kommen. So ist der absolut wirksamste Weg, Energie einzusparen, sie überhaupt nicht zu brauchen. Beispielsweise kann eine in smarte Gebäude integrierte Künstliche Intelligenz ungenutzte Räumlichkeiten erkennen oder gar prognostizieren und den Energieverbrauch selbständig herunterfahren. Und noch mehr: Mit sogenannten Smart Grids als zentraler Steuerungseinheit können die intelligenten Gebäude anhand von Echtzeitdaten die Energieproduktion und den Energieverbrauch optimal aufeinander abstimmen. Die einzelnen Gebäude vernetzen sich somit zu energieoptimierten Quartieren oder – perspektivisch – zu ganzen Städten.

Und auch der Rohstoffverbrauch muss keine Einbahnstraße sein. Die Baubranche verschlingt rund die Hälfte der europäischen Ressourcen und verursacht gleichzeitig gut 60 Prozent des Abfalls, teils in giftiger Form. Abhilfe verspricht das sogenannte „Cradle-to-Cradle“-Prinzip. Dabei handelt es sich um ein kreislauffähiges Verfahren, um Baumaterialien nach dem Abriss sozusagen ein zweites Leben zu geben. Gebäude wandeln sich auf diese Weise zu einer Materialbank, die am Ende ihrer Nutzungszeit nicht auf dem Müll landen, sondern ihre Ressourcen wieder für neue Bauprojekte freigeben. Angewendet auf ganze Städte schlummern hier riesige Rohstoffdepots.

EU-Klimagesetz: Mit Spannung erwartet

Das EU-Klimagesetz ist das Herz des Green Deals. Erklärtes Ziel ist die Klimaneutralität aller Mitgliedstaaten und der EU selbst bis 2050. Hierzu muss es gelingen mehr CO2 zu binden, als freizusetzen. Wünschenswert – auch für unsere Branche – wären hier klare und messbare Ziele, um so eine bessere Vergleichbarkeit sicherzustellen. Darüber hinaus sollte es aber auch darum gehen, nicht alles allein auf CO2-Neutralität zu reduzieren, sondern dass alle Aspekte der Zukunft unter ESG (Environmental Social Gouvernance) zum Tragen kommen, beispielhaft hierfür seien Biodiversität oder Arbeitsbedingungen genannt.

Form und Funktion verschmelzen zu einer Einheit

Kritiker halten dem Bauhaus entgegen, dass dessen Architektur, Häuser oder Möbel alles andere als ökologisch waren. Und auch, wenn wir das nun anders machen müssen: Entscheidend ist die Rückbesinnung auf den Leitgedanken, der heute noch genauso elementar ist wie damals, nämlich für eine lebenswerte Zukunft mit dem Alten und Gewohnten zu brechen und möglichst viele für die neuen Ideen zu begeistern. So gehört also zur Klimaneutralität mehr als reine Rechnerei. Es geht nicht allein darum, wie viel CO2 ein Gebäude einsparen kann oder welche Mengen an Energie es erzeugen und einspeisen kann. Zu einer nachhaltigen Bauweise gehört auch, wie gut sich ein Gebäude in seine Umgebung einfügt und ob sich die Menschen darin wohlfühlen. Das Vermächtnis des Bauhauses ist also nicht, alte Muster zu kopieren. Vielmehr geht es darum, die Bauhaus-Bewegung in die heutige Zeit zu übersetzen. Das ist die zentrale Botschaft, die davon ausgeht: Eine Welt zu bauen, in der Nachhaltigkeit ein Zuhause hat.

 

Über Steffen Szeidl, Vorstand der Drees & Sommer SE

Steffen Szeidl absolvierte sein Studium der Architektur an der Technischen Universität Darmstadt und der Eidgenössischen-Technischen Hochschule Zürich (ETH). Seit Januar 2015 ist Steffen Szeidl Vorstand der Drees & Sommer Gruppe und verantwortet neben den Bereichen Finanzen, IT und Unternehmenskommunikation insbesondere auch die Digitalisierungs-Strategie des Unternehmens.

 

Drees & Sommer: Innovativer Partner für Beraten, Planen, Bauen und Betreiben.

Als führendes europäisches Beratungs-, Planungs- und Projektmanagementunternehmen begleitet Drees & Sommer private und öffentliche Bauherren sowie Investoren seit 50 Jahren in allen Fragen rund um Immobilien und Infrastruktur – analog und digital. Durch zukunftsweisende Beratung bietet das Unternehmen Lösungen für erfolgreiche Gebäude, renditestarke Portfolios, leistungsfähige Infrastruktur und lebenswerte Städte an. In interdisziplinären Teams unterstützen die rund 4.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an weltweit 46 Standorten Auftraggeber unterschiedlichster Branchen. Alle Leistungen erbringt das partnergeführte Unternehmen unter der Prämisse, Ökonomie und Ökologie zu vereinen. Diese ganzheitliche Herangehensweise heißt bei Drees & Sommer „the blue way“.

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