Drees & Sommer Immobilienkolumne – Kann der Einzelhandel unsere Innenstädte retten?

Einzelhandel in der Innenstadt oder Einkauf im Netz? Die Corona-Krise hat die Waagschale zugunsten des Online-Handels ausgerichtet. Darunter leiden nicht nur die Einzelhändler, sondern auch Ortszentren und Einkaufszonen. Es wird Zeit, dies wieder gerade zur richten. Dazu braucht es Pioniergeist. Es braucht den Dreiklang Refurbishment, Revitalization und Repositioning. Es braucht Nachhaltigkeit und nicht zuletzt ein neues Logistikkonzept.

Verkaufsflächen begrenzen, Hygienekonzepte ausarbeiten, neue Leistungsangebote etablieren: Während der Corona-Pandemie haben Einzelhändler hierzulande nicht nur Durchhaltevermögen und Flexibilität bewiesen, sie zeigten sich auch innovativ und kreativ: So mancher bot Ware über Social Media Plattformen an, wo Kunden sie ordern und später im Laden abholen konnten. Andere verlagerten ihr Produktangebot gleich gänzlich in Online-Shops. Das Resultat ist jedoch für alle gleichermaßen bitter: Während der Online-Markt boomt, haben die Einkaufsstraßen – und somit die Destination Innenstadt – enorm an Anziehungskraft verloren.

 

Neue Ideen für alte Lagen

Der Deutsche Städte- und Gemeindebund (DStGB) rechnet damit, dass noch bis zu 50.000 Einzelhandelsstandorte ihre Geschäfte im Zuge der aktuellen Krise aufgeben werden – und Ortszentren und Einkaufsstraßen immer mehr verwaisen. Zur Rettung der Innenstädte hat der DStGB daher sogar einen Fünf-Punkte-Plan aufgelegt. Damit macht er deutlich, was im Grunde schon vor der Pandemie klar war: Shopping-Destinationen und Handelsimmobilien müssen sich dringend verändern, um angesichts eines hochdynamischen Marktumfelds, volatiler Rahmenbedingungen und immer kürzerer Ereigniszyklen überleben zu können. Um dies zu erreichen, braucht es eine nutzerzentrierte Destinationsentwicklung, flexible Flächenentwicklung und eine strategische Neupositionierung mit klaren USPs, die den Einzelhandel vielfältiger, digitaler und damit resilienter macht – und die mit Hilfe des Dreiklangs Refurbishment, Revitalization und Repositioning umgesetzt wird. Retailer, deren Position gefährdet ist, müssen sich mit einem durchdachten Asset-Management strategisch neu positionieren. Und Handelsimmobilien, die ihren Wert und ihre Resilienz über verschiedene Nutzungs- und Renovierungszyklen erhalten wollen, müssen so konzipiert werden, dass sie flexibel genutzt und umgestaltet werden können. Auf dieser Basis werden Geschäfte vor Ort auch in Zukunft wichtig bleiben – sie werden nur anders sein als bisher. Will heißen: Die reine Bedarfsdeckung rückt in den Hintergrund, während das reelle Einkaufserlebnis – auch für diejenigen, die Omnichannel-Services gerne nutzen – seinen Platz weiter behaupten kann und wird.

 

Nachhaltige Belebung der Innenstädte

Damit dieser Erlebnischarakter der Shopping-Destinationen funktioniert, muss sich jedoch nicht nur der stationäre Handel neu erfinden. Auch in den Quartieren selbst besteht Handlungsbedarf, und zwar nicht nur auf optischer Ebene: Die EU will bis 2050 klimaneutral werden. Um die Klimaziele zu erreichen und die Innenstädte zukunftssicher zu machen, steht daher das Thema Nachhaltigkeit ebenfalls im Fokus der Herausforderungen, die Städte und Investoren, Nutzer und Betreiber von Handelsimmobilien lösen müssen. Dabei geht es nicht nur um die Erzielung von Einsparpotentialen z.B. durch Gebäudedämmung und den Einbau effizienter Heizungsanlagen etc. Daneben tritt zunehmend die Steuerung und Erzeugung von Energie in der Immobilie in den Vordergrund. Das Gute dabei: Plusenergiehäuser werden künftig mehr Energie produzieren, als sie selbst brauchen. Im Verbund lassen sich smarte Immobilien auf Quartiersebene sogar noch intelligent miteinander vernetzen und passen sich dann als flexible Energiespeicher an das – mit erneuerbaren Energien gespeiste – Netz an. Gleichzeitig wirkt das Prinzip des kreislauffähigen Bauens, das so genannte Cradle to Cradle-Prinzip der Rohstoffverknappung entgegen.

 

Wenn der Postmann nicht mehr klingelt

Um das Ergebnis dieser Maßnahmen im Sinne einer nachhaltigen Destinationsentwicklung Innenstadt abzurunden, muss neben dem Gebäudebestand nun noch ein weiterer Punkt verändert werden: der teure, zeitaufwändige und nicht gerade nachhaltige Einzeltransport der Ware vom Logistikzentrum auf der grünen Wiese bis zum Geschäft und Kunden in der Stadt. Abhilfe versprechen beispielsweise anbieterneutrale White Label Hubs, von denen aus Kurier-, Express- und Paketdienstleister gebündelte Transporte realisieren. Und so nicht nur dazu beitragen, Lager-, Personal- und Transportkosten für Kunden und Geschäfte zu senken, sondern auch noch helfen, das Shoppingparadies Innenstadt so zu beleben – so dass es dort künftig attraktiver und anziehender wird als je zuvor.

 

Autor: York Stahlknecht

York Friedrich Stahlknecht wurde nach seinem Studium an der Technischen Universität München Projektleiter in Berlin und Hamburg. Seit 2019 ist der Senior Projektpartner Head of Retail bei Drees & Sommer und verantwortet die Projektmanagement-, Beratungs-, und Konzeptionierungsvorhaben in Bremen und im Nordwesten Deutschlands. Zusätzlich hat er einen Lehrauftrag an der Hochschule Bremen und lehrt Bau- und Planungswesen sowie Internationales Projektmanagement für Bauingenieure.

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