Drees & Sommer Immobilienkolumne – Mit Brownfield-Arealen gegen den Flächenfraß

Immer mehr Wohnraum pro Kopf, immer breitere Straßen für besseres Vorankommen und den schnellen Warentransport – nicht nur im fernen Regenwald verschwinden Tag für Tag viele Hektar Natur, auch in Deutschland zeigt sich ein enormer Flächenfraß: Eine Fläche so groß wie 80 Fußballfelder verschlingt der Hunger nach neuen Straßen, Häusern und Gewerbegebieten täglich.

Damit soll jetzt Schluss sein: Im Zuge des Klimaschutzes und der Ressourceneinsparung will Deutschland die Neuversiegelung von Flächen drastisch zu reduzieren.

Bis 2050 wird die Netto-Null angestrebt. Ein Baustein für die Erreichung dieses Ziels liegt in der Reaktivierung stillgelegter Industrieareale, so genannter Brownfields. Wo vor vielen Jahren Maschinen ratterten und täglich hunderte oder tausende Arbeiter durch die Tore strömten, wachsen jetzt Blümchen und Sträucher auf den verlassenen Zufahrtsstraßen und Innenhöfen. Dabei haben diese stillgelegten Industrieflächen viel Potential: Sie verfügen meist über eine bestehende technische Infrastruktur und sind gut an das bewohnte Umland angebunden. Um die Reaktivierung dieser Brachflächen voranzutreiben und den Bau auf der grünen Wiese zu minimieren, wurde Anfang 2021 der Deutsche Brownfield Verband (DEBV) gegründet. Bereits innerhalb des ersten Jahres traten dem DEBV 100 Brownfield-Akteure bei, die sich dafür einsetzen, die Brachflächen-Aktivierung in Deutschland zu stärken. Denn ganz gleich, ob Shopping Mall oder Onlinehandel, Gewerbegebiet oder Logistikunternehmen – der Flächenbedarf ist riesig, die Nachfrage entsprechend hoch.

Flächenversiegelung entgegenwirken

Der Umbau von Brownfields ist mit anderen Hürden verbunden als die Entwicklung von Greenfields. Beim Brownfield scheitert die Reaktivierung oft an ungeklärten Zuständigkeiten. Auch erschweren fehlende einheitliche Standards und der Mangel an Vernetzungsmöglichkeiten für Entwickler und Eigentümer die Erneuerung der Flächen. Dazu kommen Rechts- und Planungsunsicherheiten. Die Grünfläche ist meist schneller erschlossen, denn es werden keine aufwendige Gutachten zur Untersuchung auf Schadstoffe und Altlasten benötigt. Ebenso kommt es selten durch regulatorische Auflagen zu Verzögerungen. Dass dabei große Flächen an Natur versiegelt werden, ist aktuell noch kein Thema. Dagegen nehmen Brownfield-Entwickler eine große Verantwortung in die Hand, indem sie versiegelte Flächen neu aufwerten und wieder nutzbar machen – darin müssen sie unterstützt werden. Damit das Potenzial von Brachflächen erkannt wird und sich mehr Bauherren und Projektentwickler der Herausforderung stellen, hat der Deutsche Brownfield Verband klare Zielsetzungen formuliert. Im ersten Schritt wird aktuell eine Machbarkeitsstudie für ein bundesweites Brachflächenkataster erstellt, die in Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer Institut und dem Dienstleister Spacedatists GmbH entsteht. Weitere Schritte sind ein transparentes Zertifizierung- und Bonussystem für Sanierungen, beschleunigte Genehmigungsverfahren sowie Fördermittel für Flächenrevitalisierung in Städten und Kommunen.

Digitales Kataster soll für Durchblick sorgen

Noch sind viele Brachflächen aktuell nicht zentral dokumentiert. Abhilfe schaffen soll ein standardisiertes, bundesweites Brownfieldkataster. Dafür soll in den kommenden Jahren das Kartenmaterial aus den Geoinformationssystemen der Länder und Kommunen synchronisiert und zusammengefügt werden. Unterstützend kommen eine Software und künstliche Intelligenz zum Einsatz, die Luftbilder und Karten auf entsprechende Flächen untersucht. Als erster Schritt wurde im September 2021 eine Machbarkeitsstudie für die Erstellung eines solchen Katasters auf den Weg gebracht, die die genauen Rahmenbedingungen und Kriterien festlegen soll, nach denen das Kataster aufgebaut werden kann. Sobald Investoren und Projektentwickler eine entsprechende Fläche identifiziert haben, müssen sie sich im nächsten Schritt einen genauen Überblick verschaffen: Wurde der Boden in der Vergangenheit verunreinigt? Wem gehört die Fläche? Gibt es einen oder gar mehrere Besitzer? Sind Wasser– oder Gasleitungen im Boden, die andere Stadtteile versorgen? Der Aufwand für die Erschließung und die Baulandentwicklung ist damit zunächst höher als auf einer unbebauten Fläche. Trotzdem kann sich die Entwicklung lohnen, denn: Die Gelände sind oftmals an das Strom- und Wassernetz angebunden und haben eine gute Anbindung an das öffentliche Nahverkehrsnetz. Um weitere Anreize zur Brownfield-Entwicklung zu bieten, wird eine standardisierte Zertifizierung von Flächen angestrebt. Etablierte Systeme wie sie DGNB, LEED, BREEAM und WELL können unterstützen: Wenn Brownfields eine bedeutendere Rolle in der Zertifizierung hätten als die Bebauung auf der grüne Wiese, kann für Bauherren ein zusätzlicher Anreiz geschaffen werden.

Auch Mischnutzung von Brachflächen ist möglich

Aufgrund ihres hohen Versiegelungsgrades und ihrer oftmals großen Fläche bietet sich besonders die gewerbliche und industrielle Nutzung für Brownfields an. Es gibt aber auch im innerstädtischen Bereich auch genügend Beispiele für eine sehr gelungene gemischte Nutzung. Denkmalwürdiger Bestand, der vielleicht der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird, wird dazu gekonnt städtebaulich in Szene gesetzt und erhält eine neue Nutzung. Der Trend geht weg von reinen homogenen Nutzungen wie Bürosilos, Wohnhochhäusern und Einkaufsstraßen hin zu einer Stadt der kurzen Wege, in der Arbeiten, Wohnen und Nahversorgung in direkter Nachbarschaft liegen. Und alte Industriebauten mitten in der Stadt eigenen sich dafür besonders gut. Deutschlandweit warten noch rund 150.000 Hektar solcher Brachflächen darauf, umgenutzt und erschlossen zu werden.

Rechtsverbindliche Grundlage für den Umgang mit Altlasten

Ein weiterer Hebel, um die Revitalisierung von Brachflächen voranzutreiben, besteht in Fördermöglichkeiten. Einen wesentlichen Beitrag hierzu hat der Brownfield-Verband bei der Mantelverordnung für Ersatzbaustoffe und Bodenschutz geleistet, die ab kommendem Jahr greifen wird. Zu den wesentlichen Änderungen gehört, die im Sinne des Kreislaufwirtschaftsgesetzes bestmögliche Verwertung von mineralischen Abfällen zu gewährleisten. Bislang wird aber nur ein kleiner Teil dieser Abfälle wiederverwertet, und das zumeist in minderwertigerer Form. So landen bei Umbau- oder Abrissarbeiten Materialien wie Beton oder Stahl meist auf der Deponie oder als Füllmaterial im Straßenbau, obwohl sie für neue Bauvorhaben dringend benötigt und teuer bezahlt werden. Auch hier kann ein Kataster Abhilfe schaffen: Der vom Umweltberatungsinstitut EPEA entwickelte Urban Mining Screener ist in der Lage, anhand von Gebäudedaten wie beispielsweise Bauort, Baujahr, Gebäudevolumen oder Gebäudetyp deren materielle Zusammensetzung quasi auf Knopfdruck zu schätzen. Damit könnte das Rohstofflager, das in alten Gebäuden steckt, gehoben werden. Ganz nebenbei entsteht dabei auch eine fundierte Entscheidungsgrundlage für nachhaltiges Bauen.

Kreisverkehr statt Einbahnstraße

Um den Flächenverbrauch zu reduzieren und die Netto-Null zu erreichen, führt kein Weg an der Brachflächenentwicklung vorbei. Noch immer scheint das Bauen auf der grünen Wiese für viele Planer, Bauherren und Investoren attraktiver zu sein als die Wiederbelebung bereits versiegelter und bebauter Flächen. Dabei wird ein entscheidender Punkt übersehen. Zusammen stecken wir in einem ökologischen Schneeballsystem fest: Wir benutzen die Ressourcen der Zukunft, um für die Gegenwart zu bezahlen. Hier muss definitiv ein Umdenken stattfinden – weg von der linearen Einbahnstraße der Flächennutzung, hin zu einer kreislauffähigen Nutzung. Nur so lässt sich das große Ziel der Netto-Null halten und ein nachhaltiger Umgang mit Bauland und Ressourcen erreichen.

Über den Autor:

Mustafa Kösebay betreut als Associate Partner der Drees & Sommer SE Flächenentwicklungen und Masterplanungen – auch im internationalen Umfeld. Nach seinem Bauingenieurstudium an der Hochschule für Technik in Stuttgart spezialisierte er sich auf immobilienwirtschaftlichen Beratung für Grundstückseigentümer und Investoren. Als Vorstandsmitglied des Deutschen Brownfield Verbands (DEBV) treibt er außerdem die Revitalisierung von Brachflächen voran. Darüber hinaus lehrt Mustafa Kösebay heute an der Hochschule für Technik in Stuttgart die Fächer Projektentwicklung und Immobilienwirtschaft.

 

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Als führendes international tätiges Planungs- und Beratungsunternehmen mit Hauptsitz in Stuttgart begleitet Drees & Sommer private und öffentliche Bauherren sowie Investoren seit über 50 Jahren in allen Fragen rund um Immobilien und Infrastruktur – analog und digital. Durch zukunftsweisende Beratung bietet das Unternehmen Lösungen für erfolgreiche Gebäude, renditestarke Portfolios, leistungsfähige Infrastruktur und lebenswerte Städte an. In interdisziplinären Teams unterstützen 4.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an weltweit 51 Standorten Auftraggeber unterschiedlichster Branchen. Alle Leistungen erbringt das partnergeführte Unternehmen unter der Prämisse, Ökonomie und Ökologie zu vereinen. Diese ganzheitliche Herangehensweise heißt bei Drees & Sommer „the blue way“.

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