Drees & Sommer Immobilienkolumne – Urban Mining: Den Teufelskreis der Verschwendung verlassen

Altes raus, Neues rein? Das klassische Mantra beim Renovieren gilt in der Form nicht mehr. Denn unsere Gebäude selbst sind Rohstofflager: Steine, Kies, Zement, Erde und vieles mehr liegen hier vor und können abgebaut werden, um den Rohstoffbedarf unserer boomenden Metropolen zu stillen. Beispielhaft gezeigt wird das in Brüssel

Unsere irdischen Ressourcen sind bekanntlich begrenzt. Doch angesichts der fortschreitenden Urbanisierung und der wachsenden Bevölkerung dürfte sich der weltweite Bedarf an Baumaterialien bis 2050 verdreifachen. Zugleich landen die wertvollen Materialien, die in bereits bestehenden Gebäuden stecken, am Ende von deren Lebenszyklus auf dem Müll: sie werden auf Bauschuttdeponien gekippt und wenn überhaupt etwas recycelt wird, dann zu Produkten von viel geringerem Wert. Allein in der EU fallen jährlich mehr als 450 Millionen Tonnen Bauschutt an.

Diese unglaubliche Verschwendung muss gestoppt werden. „Der Druck auf unsere Umwelt und Ressourcen ist enorm“, betont Michael Moradiellos del Molino, Head of Real Estate bei EPEA – Part of Drees & Sommer, BeNeLux und Frankreich. „Der erste Schritt besteht darin, die vorhandenen Materialien unserer Gebäude zu identifizieren und zu überprüfen und sich von der Denkweise des Abrisses zu lösen.“ Die Städte und Gebäude seien Rohstoffdepots, ihr reichhaltiger Inhalt müsse genutzt werden, um den Materialbedarf der Zukunft zu stillen. Denn in unseren Städten sind mehr als 50 Milliarden Tonnen wertvoller Baumaterialien gebunden.

Diese neue Denkweise wird auch als „Urban Mining“ bezeichnet. Sie nimmt einen umfassenden Blick auf Rohstoffe und deren Rückgewinnung ein – und betrachtet Produkte, Gebäude und Infrastruktur als Vorratslager, deren Wert mit den natürlichen Rohstoffvorkommen der Erde vergleichbar ist. So kann etwa das in einem alten Gebäude verbaute Holz genutzt werden, um daraus Fensterrahmen, Türen oder auch das Dach für ein neues Gebäude zu konstruieren. „Urban Mining bietet eine Reihe von Vorteilen, insbesondere bei der Gewährleistung sicherer und nachhaltiger Lieferketten. Es erschließt Ressourcen bedarfsnäher, erhöht die Ressourcenunabhängigkeit und reduziert Transportkosten und Energieverbrauch deutlich“, erklärt der Immobilienexperte, der diese Prinzipien bei der Sanierung und Erweiterung des World Trade Centers in Brüssel – dem von Befimmo und Open Minds realisierten und von Drees & Sommer begleiteten Projekt „ZIN“ – bereits mit umgesetzt hat. Das Projekt bietet auf einer Fläche von 110.000 Quadratmetern einen einzigartigen Mix aus Wohn-, Hotel-, Büro- und Coworking-Flächen sowie Sportanlagen und gilt als das größte Urban-Mining-Projekt in Europa.

Überhaupt nimmt die Region Brüssel in Belgien in dieser Hinsicht eine Vorreiterrolle ein. Mit dem 2016 ins Leben gerufenen „Program Régional en Economie Circulaire“ (PREC) verfolgt sie das Ziel, Ressourcen zu mobilisieren und Abfälle durch die Entwicklung einer ehrgeizigen Kreislaufwirtschaftspolitik zu minimieren. Ein klassischer Abriss ist in der Region Brüssel nur noch dann erlaubt, wenn es ein Urban-Mining-Konzept gibt – und wenn der Neubau so konzipiert wird, dass sich die dort verwendeten Ressourcen auf einfache Weise wiederverwenden lassen. So wurde das Projekt ZIN so konzipiert, dass die Kreislaufwirtschaft im Vordergrund steht. „Ein Großteil der vorhandenen Materialien wird entweder zurückbehalten, an anderen Standorten wiederverwendet oder recycelt“, erklärt Moradiellos del Molino. „Wir unterstützen den Rückbau, die Aufbereitung und die Wiederverwendung der Materialien in anderen Bauprojekten.“

So wurden Fliesen sowie Isolierungen, Türen und Küchen wiederverwendet, zudem bestätigt ein Materialpass, dass die meisten der verwendeten neuen Materialien nach dem „Cradle-to-Cradle“-Standard zertifiziert sind. Ein Materialpass enthält detaillierte Informationen über die chemische Zusammensetzung der verwendeten Materialien – und bietet neben den Vorteilen für die Umwelt auch Vorteile für die Gesundheit der Gebäudenutzer. Denn diese können direkt erkennen, ob Giftstoffe oder Allergene verbaut worden sind.

Mit neuen Umweltvorschriften dürfte Urban Mining wettbewerbsfähig werden, zumal Bauherren genau darauf achten werden, ob ihre Gebäude den künftigen Baustandards und Nachhaltigkeitsanforderungen entsprechen. „Wie in jedem Markt gibt es Spitzenreiter und Nachzügler. Um einen erfolgreichen Übergang zu kreislauffähigen Immobilien zu vollziehen, brauchen wir eine gemeinsame Dynamik“, sagt der Drees & Sommer-Experte. „Wir brauchen die Bereitschaft, in Innovation zu investieren.“ Investoren, Projektentwickler und auch Banken müssen über den Tellerrand hinausdenken und eingetretene Pfade verlassen, um einen nachhaltigen Wandel zu ermöglichen.

Auch der Multi Tower punktet mit Nachhaltigkeit

Nicht nur mit dem ZIN-Projekt haben Michael Moradiellos del Molino und sein Team von Drees & Sommer alle Hände voll zu tun. Auch die Sanierung des Multi Towers in Brüssel wird nach Urban Mining-Prinzipien geplant. In das Projekt von Whitewood, das das Gebäude Ende 2015 erworben hatte, soll dank des hohen Energiestandards und der Zertifizierung zur Kreislaufwirtschaft nach Abschluss der Sanierungsarbeiten der französische Konzern Total einziehen. Insgesamt bietet das Gebäude dann 55.000 Quadratmeter Büro- und Einzelhandelsflächen und soll nach dem BREEAM-Standard „Excellent“ zertifiziert werden.

Über den Autor:

Michael Moradiellos del Molino ist Head of Real Estate bei der Drees & Sommer-Tochter EPEA in BeNeLux und Frankreich. Nach seiner Architekturausbildung an der ISAVH in Brüssel zog Michael nach Spanien, um seine Doktorarbeit zum Thema „Nachhaltige Stadtplanung“ zu schreiben und begann seine berufliche Karriere in internationalen Projekten wie dem Madrider Pavillon auf der Shanghai Expo 2008 oder DreamHamar in Schweden. Als Experte für Kreislaufwirtschaft und Cradle to Cradle ist es sein Ziel, in Zusammenarbeit mit Stakeholdern Innovationen zu schaffen und Verfahren zu entwickeln, die den Menschen und dem Planeten zugutekommen. Del Molino kam zu Drees & Sommer in Belgien, um das Cradle-to-Cradle-Designprinzip in den französischsprachigen Märkten zu verbreiten und der wachsenden Nachfrage privater und institutioneller Kunden in Fragen der Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft gerecht zu werden.

 

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Als führendes europäisches Beratungs-, Planungs- und Projektmanagementunternehmen begleitet Drees & Sommer private und öffentliche Bauherren sowie Investoren seit 50 Jahren in allen Fragen rund um Immobilien und Infrastruktur – analog und digital. Durch zukunftsweisende Beratung bietet das Unternehmen Lösungen für erfolgreiche Gebäude, renditestarke Portfolios, leistungsfähige Infrastruktur und lebenswerte Städte an. In interdisziplinären Teams unterstützen die rund 4.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an weltweit 46 Standorten Auftraggeber unterschiedlichster Branchen. Alle Leistungen erbringt das partnergeführte Unternehmen unter der Prämisse, Ökonomie und Ökologie zu vereinen. Diese ganzheitliche Herangehensweise heißt bei Drees & Sommer „the blue way“.

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