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Ein Haus aus Müll: So schick können Recycling-Immobilien sein

Plastikmeere, Rohstoffknappheit und Müllberge in Schwellenländern – der Notstand um die Umweltverschmutzung steigt. Doch der Trend zu Recyclinghäusern könnte die Umwelt zukünftig entlasten, wie die Projekte kreativer Köpfe zeigen.

Einige Architekten wissen ausrangierte Gegenstände bestmöglich aufzuwerten, indem sie ihre Kreativität und ihren Sinn für die Umwelt kombinieren. Diesen Trend gibt es auch auf dem Immobilienmarkt: Recyclinghäuser erfahren immer mehr Aufmerksamkeit. Weltweit entstehen nun sogenannte Müllhäuser. So wird sowohl ressourcen- und umweltschonend, als auch günstig gebaut. Denn die traditionelle Baubranche verursacht weltweit 36 Prozent des gesamten CO2-Ausstoßes.

Müllhaus-Pionier Reynolds

Michael Reynolds gilt als Gründervater der Müllhausidee: Im Jahr 1971 baute der frisch gebackene Architekt in der Wüste New Mexicos ein Haus aus Bierdosen. Er verlieh Abfall einen neuen Sinn und erkannte diesen als natürliche Ressource, an der es niemals mangeln würde. Seine Idee entwickelte er weiter zum sogenannten Selbstversorgerhaus „Earthship“, von denen es weltweit über 1.000 Exemplare gibt. Er gründete das Unternehmen Biotecture, das die Pläne für verschiedenen Varianten im preislichen Rahmen von 1.000 bis 8.000 US-Dollar verkauft. Interessenten können zudem unbezahlt auf Baustellen helfen und genießen dafür die Schulung für ein ökologisches Eigenheim.

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Experte Ulrich Steinmetz berichtet aus erster Hand von den spannendsten Immobilien-Projekten rund um den Globus.

Earthship – autarkes Ökoheim

Ein „Erdschiff“ soll mit geringen Kosten einem Null-Energiehaus entsprechen, was bedeutet, dass das Gebäude in etwa so viel Energie produziert, wie es verbraucht – und das in jeder Klimazone. Erfinder Reynolds setzt dabei auf die Dämmfähigkeit von ausrangierten Autoreifen, die als Grundmauer eingesetzt und größtenteils von Erde bedeckt werden, um für Isolation zu sorgen und Wärme zu speichern. In extremen Klimazonen können zusätzliche, ressourcenschonende Kühl-oder Heizelemente eingebaut werden.

Auf der Sonnenseite bleiben die Häuser jeweils unbedeckt und werden durch eine Glasfront lichtdurchflutet. Zusätzlich sieht das Öko-Konzept vor, unabhängig von Strom-, Gas- und Öllieferanten zu sein. Dazu wird die Energie von Sonne und Wind gespeichert. Ein weiterer Bestandteil des autarken Recycling-Hauses ist ein Gewächshaus, das die Bewohner mit Gemüse und Obst versorgt. Des Weiteren wird Regenwasser aufgefangen und gereinigt, um die Wasserversorgung zu gewährleisten. Eine private Bio-Kläranlage soll das anfallende Abwasser wiederaufbereiten.

Das nächste Großprojekt plant Biotecture für März 2018: In Argentinien soll eine Earthship-Schule entstehen:

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Haus aus Kabelrollen

Auch der niederländische Architekt Césare Peerens verleiht dem, was andere als Müll bezeichnen, einen neuen Zweck. Zwischen gewöhnlichen Einfamilienhäusern entstand 2012 die extravagante „Villa Welpeloo“, die aus recycelten Materialien erbaut wurde. Kennzeichnend ist die Außenfassade, bestehend aus vertikal angeordneten Balken. Diese waren einst Teil von 600 Kabelrollen. Etwa 90 Prozent der Stahlkonstruktion des Designerhauses wurden aus Metallresten einer alten Fabrik bezogen. Die Außenkonstruktion der Recyclingvilla besteht zu 60 Prozent, der innere Bereich zu 90 Prozent aus wiederverwendetem Abfall. Hätten die Architekten auf neu produzierten Stahl gesetzt, wären für den Bau der Villa rund 24 Tonnen CO2 aufgestoßen worden – so liegt die Menge der CO2-Emissionen gerade einmal bei drei Tonnen.

Wie die Recyclinghäuser des Teams 2012Architecten aussehen, entscheiden Abfall und Materialreste aus dem Umkreis. Bei dieser Vorgehensweise nahmen sich die Architekten die Natur zum Vorbild: Vögel bauen ihr Nest aus dem Material, das sie in einem bestimmten Radius um den ausgewählten Platz finden können. Mit einer sogenannten „Harvest Map“, in der der Umkreis für die Materialsuche festgelegt wird, startete auch das Projekt „Villa Welpeloo“.

Die Plastikflaschenhäuser

Besonders in Plastikflaschen, aber auch in Folien und Textilfasern, ist das Thermoplast Polyethylenterephthalat (PET) zu finden. Nicht in allen Teilen der Welt ist das Recycling von Plastik so komplex wie in Deutschland. Bis zu 80 Prozent der 160 Millionen jährlich hergestellten Kunststoffflaschen werden nicht recycelt. Daher sammeln sich unzählige Mengen von Kunststoffflaschen in Entwicklungsländern in den Städten und deren Umgebung. Entwicklungshelfer Andreas Froese bemerkte Unmengen davon in Honduras und initiierte bereits 2005 den Bau stabiler Recycling-Gebäude. Diese bestehen aus mit Erde befüllten PET-Flaschen, welche mit Draht oder Schnur verbunden und mit Lehm oder Mörtel verbaut werden.

Auch andere arme Länder folgten seinem Beispiel und bauen mittlerweile die kostengünstigen und ressourcenschonenden Gebäude nach. Mit dieser Vorgehensweise entstanden bereits verschiedene Gebäudearten rund um den Globus. Der Recyclingtrend im Immobiliengewerbe reicht aber weiter: In Las Vegas entstand, basierend auf dieser Idee, eine extravagante Villa, die aus einem Gemisch, gewonnen aus den Scherben von 500.000 Bierflaschen und Flugasche, gemauert wurde.

Das folgende, englischsprachige YouTube-Video zeigt eindrucksvolle Bilder rund um das Entstehen der „Plastikflaschenhäuser“:

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Müllhäuser by Dan Phillips

In Amerika hat der Trend zu Müllhäusern bei Architekten Anklang gefunden: Auch Dan Philip setzt mit seiner kleinen Baufirma auf Recyclinghäuser. Mit seinem Pickup fährt er zu Deponien und sucht planlos nach potenziellen Bauteilen für das nächste Haus. Wie dieses aussieht, richtet sich nach den Materialien, die er findet. In seiner Heimatstadt Huntsville, Texas fertigte er bereits einige Häuser aus Metallresten, Müll oder Spenden. So schmücken unzählige Bilderrahmen bei einem Haus die Decke, während in einem anderen ein weggeworfener Fenstersims als Duschbank umfunktioniert wurde.

Phillips Unternehmen muss dabei allein mit den Materialkosten für Zement, Rohre und Verdrahtung rechnen. Aufgrund dessen investiert er durchschnittlich für ein Müllhaus mit 80 Quadratmetern Wohnfläche nur um die 35.000 US-Dollar – inklusive Grundstück. Das entspricht etwa einem Drittel davon, was traditionelle Baufirmen in dieser Gegend einkalkulieren müssten.

Seine bereits entstandenen Recycling-Häuser stellt das folgende Video vor:

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Recyclingimmobilie in Dänemark

Das dänische Unternehmen Lendager Arkitekter fertigte ein „Upcycling“-Haus an. Für den Bau dieses Gebäudes wurden vollständig auf neu gefertigte Materialien verzichtet: Alte, weggeworfene Stoffe wurden aufgewertet und in hochwertige Materialien umgewandelt. Das Fundament wurde aus alten Flaschen gezimmert, die Grundkonstruktion besteht aus Holzrahmen und zwei vorgefertigten Schiffscontainern. Außerdem konnten die Wände mit Papierwolle, hergestellt aus alter Zeitung, gedämmt und mit Pressspanplatten getäfelt werden. Des Weiteren verwendete die Firma Materialen von alten Häusern, wie Ziegelsteine oder Fenster. Neben den ressourcenschonenden Materialien kann auch dieser Bau mit einer enormen CO2-Ersparnis glänzen: Rund 86 Prozent gegenüber einem Standardbau sparte das Upcycling-Haus ein, wie einem Bericht der “Wirtschaftswoche“ zu entnehmen ist. Das Konzept und die Entstehung des Upcyclig-Hauses ist im folgenden Youtube-Video zu sehen:

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Recycling-Häuser werden immer beliebter – auch in Deutschland?

Insgesamt sparen diese architektonischen Pionierleistungen viel Kohlenstoffdioxid in der Gebäude-Herstellung ein, zusätzlich können die Recyclinghäuser mit einem einzigartigen Erscheinungsbild aufwarten. Währenddessen wird der Ressourcenverschwendung und Vermüllung entgegengewirkt – ein großer Beitrag für den Umweltschutz. Doch nicht nur die Umwelt profitiert: Die Bauherren solcher Projekte sparen große Mengen an Geld, indem sie günstige bis kostenfreie Materialien verwenden. Besonders in den Schwellenländern kämen (oder kommen bereits) die günstigen Konzepte Familien zugute, die obdachlos sind oder in wackeligen Müllhütten leben müssen.

Hierzulande stehen jedoch ganz andere Problematiken als nur die Kosten auf dem Plan: Zuletzt musste ein in Baden-Württemberg geplantes „Earthship“ mit Baugenehmigungen und Auflagen zur Grundwasserversorgung kämpfen und Abstriche machen.

Bildquellen: IrinaK / Shutterstock.com